«Es gibt auch junge Menschen mit Rheuma – es kann sogar Kleinkinder betreffen.»
Prof. Dr. med. Dr. nat. rer. Stephan Gadola, Chefarzt und Präsident der Rheumaliga beider Basel
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12. August 2024
Arthritis, Arthrose, Osteoporose: Zwei Millionen Menschen sind in der Schweiz von Rheuma betroffen. Trotzdem kursieren viele Halbwahrheiten zum Thema. Die Rheumaliga beider Basel feiert ihr 75-Jahre-Jubiläum und klärt auf.
«Bewegung, Fleisch und Alkohol sind Gift für Menschen mit einer rheumatischen Erkrankung» – solche und weitere Aussagen hört man immer wieder. Doch welche davon stimmen? Ein Faktencheck.
Eine alte Frau mit verkrümmten Fingern, ein Senior in gebückter Haltung – so stellen sich viele eine Rheuma-erkrankung vor. «Solche schweren Krankheitsbilder sieht man dank grosser medizinischer Fortschritte in den letzten 25 Jahren nur noch selten», sagt Stephan Gadola, Rheumatologe und Präsident der Rheumaliga beider Basel. Dafür kennt Rheuma keine Altersgrenzen: «Es gibt auch junge Menschen mit Rheuma – es kann sogar Kleinkinder betreffen», so Gadola. Häufig wird Rheuma mit Arthritis, Arthrose oder Weichteilschmerzen gleichgesetzt. «Heute kennen wir rund 400 rheumatologische Erkrankungen», sagt Gadola. Darunter fallen beispielsweise auch Gicht, Osteoporose, Lupus und Fibromyalgie. Grob unterscheidet man zwischen entzündlichem Rheuma (zum Beispiel Arthritis), Abnützungen (Arthrose), Knochen-, Muskel-, Bandscheiben- und Sehnenerkrankungen (zum Beispiel Osteoporose) und chronischen Rückenschmerzen. «Insgesamt sind in der Schweiz rund 2 Millionen Menschen betroffen, jede vierte IV-Rente ist mit einer rheumatischen Erkrankung verbunden, und die medizinischen Kosten pro Jahr belaufen sich auf 23 Milliarden Franken», sagt Anita Oswald, Geschäftsführerin der Rheumaliga beider Basel.
«Es gibt auch junge Menschen mit Rheuma – es kann sogar Kleinkinder betreffen.»
Dieser Ratschlag wurde Betroffenen früher tatsächlich gegeben. Oft ist jedoch genau das Gegenteil der Fall: «Bei den allermeisten nicht entzündlichen Rheumaerkrankungen ist aktive Bewegung zentraler Teil der Therapie. Generell darf man bei nicht entzündlichen Formen mit kontrolliertem Training bis an die Schmerzgrenze trainieren», sagt Stephan Gadola. Auch Gelenke mit Arthrose sollten bewegt werden, da sonst die Gelenkkapsel schrumpft und sich betroffene Sehnen und Muskeln verkürzen. «Selbst Menschen mit Knochenbrüchen aufgrund einer Osteoporose sollten sich weiter aktiv bewegen», so der Rheumatologe. Kraftaufbau und Balanceübungen seien auch präventiv sehr wirksam.
Die Aussage beinhaltet ein Kernchen Wahrheit: «Gelenke reagieren auf Luftdruckveränderungen. Tiefdruckgebiete können bei Menschen mit Arthrose Schmerzen auslösen», sagt Stephan Gadola. Dass feuchtes und nasses Wetter Rheuma verursacht, ist jedoch ein Mythos. «Die Ursachen für die meisten entzündlichen Rheumaerkrankungen sind nicht bekannt. Bei den nicht entzündlichen sind es sehr häufig Fehlhaltungen, Fehlbelastungen oder genetische Faktoren.»
«Gewisse Rheumakrankheiten sind tatsächlich abhängig von der Ernährung. Der Klassiker ist die Gicht, die durch Harnsäurekristalle ausgelöst wird. Harnsäure ist vor allem in Fleisch und Innereien enthalten», sagt Gadola. Auch Alkohol erhöht den Harnsäurespiegel. Deshalb galt die Gicht früher als Wohlstandserkrankung. Die Rolle von Zucker ist laut dem Rheumatologen in Bezug auf Rheumaerkrankungen weniger gut belegt: «Raffinierter Zucker hat aber toxische Wirkung auf Körperzellen und kann Entzündungsvorgänge begünstigen. Es ist deshalb sicher sinnvoll, den Zuckerkonsum so weit als möglich einzuschränken.» Der Verzicht von Alkohol, Fleisch und Zucker schütze aber nicht vor den meisten Rheumaerkrankungen. Eine ausgewogene Ernährung hat jedoch einen positiven Einfluss auf die generelle Gesundheit und ist deshalb auch wichtig bei Rheumaerkrankungen. «Speziell im Alter sollten genügend Eiweisse konsumiert werden, um den altersbedingten Abbau der Muskulatur abzuschwächen. Auch Milchprodukte und kalziumhaltiges Mineralwassersind wichtig für den Erhalt der Knochen», sagt Gadola.
«Gicht ist heilbar, auch gewisse chronische Rückenschmerzen sowie Muskel- und Sehnenprobleme können behoben werden. Eine Hüftarthrose kann mit einer Prothese quasi geheilt werden», sagt Gadola. Autoimmune Rheumaerkrankungen sind jedoch auch heute noch nicht heilbar: «Glücklicherweise sind wir bei diesen Erkrankungen dank einer breiten Auswahl moderner Medikamente aber in der Lage, den meisten Menschen so weit zu helfen, dass sie ihre Erkrankung im Alltag kaum spüren.» Vergleiche man dies mit der Situation vor 50 Jahren, als viele entzündliche Rheumaerkrankungen tödlich verliefen, sei das ein enormer Fortschritt.
Artikel von Dina Sambar erschienen in der Basler Zeitung vom 7. August 2024